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Druck-Version Diskussionsbeitrag Vergessene Archäologie. Steinwerkzeuge fast so alt wie DinosEinige Reflexionen von Prof. em. Hansjürgen MÜLLER-BECK, Bern und TübingenDer intensiv recherchierte, gut ausgestattete und aufwendig gedruckte, großformatige Band ist beeindruckend und sucht unter steinzeitlichen Publikationen allein schon in dieser Hinsicht seinesgleichen. Die SCM (Stiftung Christlicher Medien) war zu beachtlichem Aufwand bereit, um dem Autor eine überzeugende Dokumentation der einschlägigen Quellen als Grundlage seiner archäologisch / paläohistorischen Interpretationen zu ermöglichen. Die vorgelegten Fotos sind von beachtlichem Niveau, das nur selten übertroffen wird. In dem gewichtigen Band geht es um die Wiederbelebung des alten und in der Tat keineswegs wirklich methodologisch schon befriedigend gelösten Eolithenproblems. Schon der außerordentlich erfahrene urgeschichtliche Altmeister Hugo OBERMAIER, der sich 1925 im EBERT - Reallexikon der Vorgeschichte, Bd.3, auf der Basis des damaligen Forschungsstandes in einer umfassenden Darstellung um den Fragenkomplex bemühte, musste es als durchaus partiell für offen erklären. Dies gilt auch noch für spätere Spezialarbeiten, wie die von W. ADRIAN (1948), der sich in einer größeren Monographie vor nun schon mehr als einem halben Jahrhundert mit der Frage der norddeutschen Eolithen und ihrer Entstehung sehr eingehend befasst hat. Er konnte erhebliche Teile dort zwar prinzipiell bei sedimentgeologisch gut dokumentierten und in ihrer Genese interpretierbaren Vorkommen weitgehend als Schotterbruch identifizieren, musste aber zugleich einräumen, dass die Bestimmung von nicht im klar fassbaren Schichtverbund gemachten isolierten Funden durchaus fraglich bleiben konnte. Zur intensiveren Wiederaufnahme der Diskussion um die keineswegs völlig vergessene, aber an den Rand des archäologischen Interesses geratene, Eolithen-Diskussion und den damit postulierten frühen Datierungen weit vor dem ersten Auftreten der fossilen Vertreter der Gattung Homo in der Alten Welt wurde der Autor dazu vor allem nach eigenen Worten durch die Argumenten von M. A. CREMO und R. L. THOMPSON angeregt. Diese hatten 1993 eine auf Englisch erschienenen Monographie, die 2006 mit über 1000 Seiten vollständig ins Deutsche übersetzt worden ist, unter dem provokativen Titel: "Verbotene Archäologie" publiziert. Dort wurden mit beachtlich großem, durch den Ausbau des vom Internet erleichterten Rechercheaufwand, als tragfähig angesehene Hinweise auf eine frühe Existenz des Menschen (weit vor dessen in einschlägigen Fachpublikationen bis dahin akzeptiertem Auftreten) zusammen getragen. Dass sie dabei von einer planmäßigen und ideologisch begründeten Unterdrückung derartiger Belege überzeugt sind, ist ein bedauerliches weiteres Zeugnis für derartige leider oft auftretenden, medienwirksamen, mehr oder weniger umfassenden Verschwörungstheorien vor allem im aktuellen anglophonen Schrifttum. Unser Autor konzentriert sich mit beachtlichem Arbeitsaufwand ausdrücklich auf das bereits genannte, in diesem Kontext zentrale Eolithenproblem und die dafür nutzbaren steinernen Objekte. Dabei geht es noch immer vor allem um die klare Trennung der planmäßig geschlagenen Steinartefakten von in Schotter- und Schuttablagerungen entstandenen Bruchprodukten (im Fachjargon oft "Geofakten"). Er möchte sich dabei, durchaus mit Recht, von einschlägigen, eher nachgeordneten und zudem äußerst lückenhaften primatologischen und paläoanthropologischen Bezügen möglichst absetzen. Ganz zu Unrecht dagegen tut er dies freilich auch von den jeweils im Verbund klar mit gefundenen, häufigen und weit zahlreicheren Faunen- und allerdings oft selteneren Florenresten, die wichtige und oft sehr entscheidende "historisch" verwertbare Hinweise zu der Breite der Korrelation der Artefaktinventare in ihren synchronen ökologischen und engeren ökonomischen Zusammenhängen geben. Zu bedenken ist dabei auch, dass die Archäologie als Forschungsfeld alle Sachquellen zu erfassen und zu dokumentieren hat, die in den geborgenen Inventaren Spuren menschlicher Tätigkeit und deren jeweils fassbare Breite bezeugen. Das gleiche gilt für die neben der Archäologie stehende Paläontologie im Hinblick auf Inventare tierischer und pflanzlicher Reste und Spuren. Beide sind in ihrer Methodik eng verwandt. Aus diesen sorgfältig erschlossenen Quellen sind dann Ereignisabläufe zu rekonstruieren, die oft eindeutiger als lückenhafte, verstümmelte oder sogar absichtlich verfälschte schriftliche Dokumente wirklich tragfähige (paläo-) historische Rekonstruktion in Raum und Zeit ermöglichen. Hierbei hebt sich schon von Anbeginn an zugleich die grundsätzliche Trennung von natur- und kulturwissenschaftlichen Ebenen auf. Die so erreichbaren Darstellungen münden daher in offene und damit ausbaufähige biotische System, in die auch die kultur- und zivilisationsfähigen Menschen (trotz ihrer sich zunehmend differenzierenden technischen und komplexeren geistigen Errungenschaften, bis hin zur bildlichen Umsetzung ihrer Gedankenwelt) stets eingebunden bleiben. Werfen wir noch kurz einen Blick auf die hier interessierende urgeschichtliche Quellenlage, die in der Tat vor allem die großen Serien der zu integrierenden Steinartefakte einschließt. Von der noch zu Beginn meines Studiums 1950/51 vorherrschenden, vorwiegend morphologischen Gliederung der Stein-, Knochen- und allzu seltenen Holzartefakte stehen daneben unterdessen die dabei angewandten Herstellungstechniken. Dazu kommen bei ausreichenden Befunden auch zunehmend Rekonstruktionen ihrer Anwendung, die bei mit Steingeräten hergestellten Waffen und Geräten eher gelingt, wenn sie sogar noch in Holz oder Knochen/Bein/Geweih geschäftete steinerne Einsätze besitzen oder spätere mehrteilige komplexere Kompositionen (bis zu fünfteiligen neoeskimoische Harpunen um Christi Geburt (LESKOV & MÜLLER-BECK 1995) aufweisen. Das bisher älteste, sicher ansprechbare Artefaktinventar, das im Verbund mit einem Oberkieferfragment geborgen wurde, das eindeutig der Gattung Homo zugeordnet werden kann, wurde 1994 im Fundpunkt BKT-3 der Hadar-Formation in Äthiopien gefunden. Es ist so fragmentarisch, dass die Zuweisung an eine nachgeordnete Spezies (habilis, erectus etc.) nicht möglich ist (KIMBEL et al. 1996). Es kann direkt auf ein Alter von 2,4 bis 2,25 Ma Argon-Jahre datiert werden. Die zugehörigen klaren Steingeräte gehören einem frühen Oldowan an, das auch an anderen ostafrikanischen Fundorten belegt ist, und damit dem Artefaktkomplex angehört, den M. und L. LEAKEY 1971 in den unteren Straten der Oldowan-Abfolge definieren konnten und das den Faustkeilinventaren des Acheuléen vorausgeht, die ausschließlich mit den späteren Arten der Gattung Homo korrelieren (MÜLLER-BECK 2011). Darüber hinaus sind weitere ostafrikanische Artefaktkomplexe bekannt geworden, die noch einfachere systematisch abgebaute Kerne enthalten, deren eingehendere Publikation aber noch aussteht (HAIDLE 2011). Sie könnten bis gegen 4 Ma Jahre, also eindeutig in das Pliozän hinabreichen und damit tatsächlich eindeutig in das klassische Tertiär Ostafrikas. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass immer mehr Stationen auftreten, in denen Artefaktinventare des Oldowan vorliegen, die mit klar bestimmbaren Fossilien der Gattung Australopithecus vor 2 Ma und auch der atavistischen Gattung Paranthropus nach 2 Ma verbunden sind. Beide lassen Handskelette erkennen, die praktisch mit denen der frühen Gattung Homo identisch sind. Es spricht also endgültig alles dafür (MÜLLER-BECK 1998, BARHAM & MITCHELL 2008), dass alle drei späten Primaten-Gattungen Hersteller der frühen ostafrikanischen Oldowan-Inventare waren und nicht etwa nur die beiden "atavistischeren" Beutereste der "progressiveren" Gattung Homo sind, wie dies LEAKEY und LEWIN aus den von ihnen vorgestellten Quellen ableiteten (1977/78). Ein durchaus akzeptables historisches Modell, das die Komplexität der tatsächlichen Abläufe von Anfang erkennen lässt, wie sie ja auch die Eolithen-Hypothese auf engerer Quellenbasis postuliert. Zudem hat bereits LEAKEY schon einen weit älteren Abschlag publiziert, den er im ostafrikanischen Fort Ternan neben fossilen Resten des hoch entwickelten Ramapithecus mit Resten von Tieren einer lichter werdenden Savannenfauna fand (LEAKEY & LEWIN 1978, S.99 ff.). Diese Primatengattung wird heute in die weit verbreitete altweltliche Gattung Sivapithecus, die auch in der Türkei und dem Balkan bis nach Ungarn auftritt (Karte S.66, LEAKEY & LEWIN 1978) einbezogen. Es sind atavistische Vorläufer der heutigen Menschenaffen, die sich als Bodenläufer (aber durchaus auch gelegentliche Baumflüchter) spezialisieren. Neben ihnen treten Gattungen als Vorläufer heutiger Menschenaffen auf, die, wie die Gibbons und Orangs, sich eher als Nutzer dichter Wälder und entsprechend extreme Kletterer spezialisieren. Die heutige Stellung der Gattung Sivapithecus wird auch von BRANDT erwähnt, der sich sonst betont von der Diskussion synchroner Primatenfossilien distanziert. Die Fauna aus Fort Ternan wurde bereits 1978 auf etwa 12 Ma datiert, steht also zeitlich im späteren Oligozän. Es handelt sich also ganz klar um einen postulierten und in der Archäologie zumindest dank dieses Funds nie "vergessenen Eolithen" (MÜLLER-BECK 1998). Leider ist dieser Abschlag nur in einer sehr schlecht reproduzierten Abbildung publiziert, so dass offen bleibt, ob es sich um ein bereits planmäßig von einem Kern getrennten Abschlag handelt oder um ein "Geofakt". Dies wäre nur zu entscheiden, wenn ein Ensemble gefunden würde, das sich zu einem zerlegten Kern zusammen setzen ließe, wie dies in ausreichend großen Inventaren der Oldowan-Kultur immer wieder möglich ist. Es gibt aber auch noch die klassische "dritte" Möglichkeit: Es könnte sich auch noch um einen Abschlag handeln, der beim Einsatz eines Schlagsteines entstanden ist, den mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schon die Angehörigen der Gattung Sivapithecus benutzt haben dürften. Mit den archäologisch gesicherten paläohistorischen Befunden stehen wir heute also vor der Tatsache, dass sich als frühester eindeutiger Technokomplex in Afrika die planmäßig produzierten Steingeräte des Oldowan (LEAKEY 1977) bis mindestens 2,6 Ma, also in das späte Pliozän, nachweisen lassen. Diese "Kultur" enthält neben schweren Geröllgeräten, unter denen auch "Proto-Faustkeile" auftreten, vor allem eine einfache aber bereits differenzierte Abschlagindustrie, die als Grundlage bereits recht variabler Geräte mit Messer- und Schaberfunktionen dienen. Ihre Anwendung wird durch Schnittmarken auf gefundenen knöchernen Arbeitsunterlagen dokumentiert. Ihre Herstellung war notwendig, um Holz und Häute herzurichten und zu bearbeiten. Sie bilden also die Basis einer komplexen technischen Entwicklung, zu der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits einfache Grabstöcke, Lanzen und Tragtaschen gehört haben dürften, die wegen ihrer raschen Vergänglichkeit allerdings kaum erhalten bleiben konnten. Es sei denn, sie werden wie die Lanze von Clacton oder die Speere von Schöningen unter besonders günstigen Bedingungen in weit jüngeren Sedimenten eingebettet und dann auch wieder aufgefunden. Diese gehören lokalen Ausbildungen des langlebigen altweltlichen Acheuléen (ca. 1,5 – 0,3 Ma vor heute) an, das eindeutig mit Menschen verbunden ist, die von den Paläoanthropologen bereits alle den unterschiedlich definierten Arten der erfolgreichen Gattung Homo zugeordnet werden, die sich weltweit, vor allem in den offeneren Landschaften, durchgesetzt hatte. Die "konkurrierenden" großen Menschenaffen überlebten lediglich in dichteren Waldregionen, die im LGM (Letztes Glaziales Maximum vor 22 000 – 18 000 v.Chr.) im Jungpleistozän auf ein allzeitliches Minimum geschrumpft waren (MÜLLER-BECK 2009, Abb.16). Nach den sich verdichtenden Befunden ist aber damit zu rechnen, dass die Kultur des Oldowan nicht einfach als "menschlich" im geläufigen Denkschema der Anthropologie zu definieren ist. Denn mit bereits sehr hoher Wahrscheinlichkeit gab es andere im Verhalten hoch differenzierte Primatengattungen, die ebenfalls Hersteller von Steinartefakten des Oldowan waren. Wir nähern uns also auf der Basis klarer archäologischer Befunde den bereits in Ansätzen von der frühen Eolithenforschung entwickelten Vorstellungen von VERWORN und seinen Mitstreitern am Ende des 19. Jahrhunderts. Damals allerdings war die Archäologie als zuständiger Wissenschaftsbereich noch nicht in der Lage, die einschlägigen Quellen zuverlässig zu analysieren und zu datieren. Dabei sind zwei Faktoren methodologisch strikt zu beachten: 1. Die Analyse der Steingeräte ist nur durch die Rekonstruktion deren Herstellung sinnvoll. 2. Die Genese und Datierung der die Objekte einbettenden Sedimente ist so weitgehend wie möglich zu bestimmen. Das bedeutet einmal, dass die sich entfaltende Differenzierung der Steinbearbeitung nur auf der Basis der jeweils geborgenen Inventare selbst bestimmt werden kann. Dies darf auf keinen Fall durch die Korrelation mit anderen synchronisierbaren Fundkategorien erfolgen. Zum anderen hat die Sedimentgenese auch die beteiligten geomorphologischen Bedingungen zu berücksichtigen, die unabdingbar sind, um sekundäre, also jüngere Infiltrationen von Objekten so sicher wie möglich auszuschließen. Daraus ergibt sich, dass sich unsere Diskussion um den Entstehungsprozess von Steinartefakten strikt auf Stationen beziehen muss, die diesen Kriterien der Dokumentation, Bergung und Interpretation entsprechen. Aufgelesene Oberflächenfunde, die nicht "in situ" beobachtet worden sind, können also nicht als Entscheidungshilfen dienen. Dies ist aber bei nahezu allen von M. BRANDT angeführten Belegen zur klassischen Eolithendiskussion, bis hin zu den meisten postulierten "Artefakten des Heidelberger" von A. RUST der Fall (s. auch Abb. 16.64.2). Wir müssen uns also nicht auf die detaillierte Ansprache der einzelnen postulierter Eolithen einlassen, die über Abbildungen bei den entscheidenden Grenzfällen (etwa kleinere und kleinste Abschläge) bereits oft sehr problematisch bleibt. Entscheidungen sind allenfalls am Original möglich, selbst wenn die oben aufgestellten Voraussetzungen erfüllt wurden. Gesicherte Aussagen sind nach den bisherigen Erfahrungen letztlich nur möglich, wenn die kontrolliert geborgenen "Steininventare" umfangreich genug sind, um deren Entstehung durch Wiederzusammensetzungen zu sichern. Dabei werden planmäßig abgebaute Abschlagkerne deutlich unterscheidbar von bei der Anwendung zertrümmerter Schlagsteine einerseits, aber auch von dem im Inventar auftretenden Schotter- oder Schuttbruch. Abb. 1 Abb. 16.64.2 in M. BRANDTs Buch, S. 409: "Werkzeuge aus dem Oberen Miozän von Aurillac in Frankreich". In Heidelberg am Institut für Ur- und Frühgeschichte hatte ich beim Katalogisieren mit ihnen als "Eolithen" in der Sammlung VERWORN 1950/51 zu tun. Es sind reine Oberflächenaufsammlungen, die zum Teil eventuell später gefertigte echte Artefakte (eventuell das Stück oben in der Mitte) einbeziehen können, wie dies auch bei "primitiven" Schotterfunden häufig das Fundbild "schönt". Ansonsten handelt es sich um typischen Vulkanitbruch, die als "Spitzen" etc. deutbar sind, aber keine wirklichen systematisch bearbeiteten Artefakte darstellen. Die Retusche am genannten Stück ist jedenfalls nicht als "vulkanitisches" Produkt ansprechbar sondern hat eher mittelpaläolithischen Charakter. Wir haben aber auch immer mehr Belege dafür, dass Naturbruch, bis hin zu "natürlichen Schotter-Abschlägen (etwa in Bilzingsleben) auch durchaus benutzt und dabei modifiziert worden ist. Immer deutlicher wird, dass wir bis hinab ins Pliozän "Abschläge" finden, die am ehesten "Abplatzungen" von Schlagsteinen sind, was aber nur durch Zusammensetzungen geprüft werden kann. (Bei modernen Primaten-Experimenten ergeben sich allenfalls solche Schlagsteine, aber nie Abschlagkerne, wie wir sie bis hinab in Oldowan und Proto-Oldowan bis bisher höchsten 4,2 Ma zurück kennen - also immerhin vor dem Auftreten der von der Paläoanthropologie definierten Gattung Homo). Kurz: Es gibt tatsächlich Artefakte der Gattung Homo aus dem Tertiär Afrikas (Pliozän) mit zusammengesetzten Abschlagkernen, aber Aurillac als Altfund ist nicht eindeutig beurteilbar. Für den zweifelsfreien Artefaktnachweis benötigt also die Archäologie:
Dass bei kleineren Inventaren oder gar Einzelfunden größerer potentieller, aber wenig "modifizierter" Arte- oder Geofakte dabei Entscheidungen unmöglich bleiben, ist selbstverständlich. Wir vermeiden damit aber auch die kausale Bindung an im eindeutigen Verbund mit gesicherten Artefakten gefundene Primaten- oder Menschenreste und die daraus ableitbaren Folgerungen. Die oben erwähnte früheste Korrelation mit einem Oberkiefer der Gattung Homo bleibt paläohistorisch in Bezug auf die Wertung der Geräte selbst relativ. Es wäre ja durchaus möglich, wie forschungsgeschichtlich in den letzten 150 Jahren durchaus belegt, dass die Anthropologie ihre Begründung der Definition auch der Gattung Homo selbst verändert. Es könnte aber auch sein, dass sich noch ältere Belege der Gattung Homo finden werden, die als Hersteller früherer gesicherter Artefakte gelten könnten. Auch die Zuweisung der Artefaktherstellung als Potenzial anderer Primatengattung mit immerhin nachweisbaren "menschengleichen" Händen bleibt eine durchaus erlaubte Hypothese, die noch nicht falsifiziert werden kann. Und es ist durchaus denkbar, dass sich Primatologen und Paläoanthropologen schon bald darauf einigen, die rekonstruierbare Morphologie und davon ableitbare Physiologie der motorischen – psychischen – Kontrolle dieser Hände als trennschärferes Kriterium der Gattung Homo zu nutzen, die sinnvoller sein könnte als die gegenwärtig noch übliche Variation der Kiefermorphologie und deren physiologischen Potenziale. Für die Paläohistorik bliebe aber dann nach wie vor als unabhängige Quelle der Entwicklung der technischen Potenziale der Primaten als hoch entwickelten "Tieren" bis hin zu den in einer viel früheren Zeit davon definitorisch abgetrennten "Menschen". Das war ja erst der Fall, als nach Erfindung (!) der Schrift auch Worte überliefert werden konnten, und es wäre historisch auch wieder höchst interessant, wo dieser konkrete ("gegenwärtig") erste Beleg in Zeit und Raum, aber auch in welchem Kontext, nachweisbar ist. Wir können also unseren Exkurs damit schließen, dass auch schon frühe Quellen zur Differenzierung des technischen Verhaltens, die vom Ende her gesehen, sich dem der Menschen nähern, Schritt um Schritt im Sinne von Marc BLOCH sorgfältig zu ergründen sind. Unnötige Abschweifungen können damit vermieden werden, und die immer begrenzt bleibenden Resourcen wären dann sinnvoller einsetzbar. Die Frage nach dem letzten Grund kann auch der Paläohistoriker nicht philosophisch oder gar theologisch abschließend beantworten. Auch ihm bleibt aber das Staunen über die wirklichen Geschehnisse, die immer ja auch in den nomenklatorischen Grenzen menschlicher Wissenschaft gefangen bleiben. Wir können und werden weitergraben, um mehr und mehr historische Klarheit auch in den Museen zeigen zu können. Unsere Neugier ist ja bekanntlich groß genug. Wobei es ideologisch und theologisch für die Historik offen bleibt, ob wir dieses unseren Kosmos steuernde Geschehen (zumindest als seine "Geschichte") dem Wirken einer Macht von göttlich gedachtem Rang zuschreiben oder einer sich selbst ordnenden Entfaltung mit gleicher Konsequenz. Für den Theologen ist diese Frage nicht mehr stellbar. Wohl aber auch diese für den Historiker, wobei er allerdings seinerseits, die Möglichkeit dieser tatsächlich glaubbaren Göttlichkeit als Möglichkeit durchaus offen lassen muss. Allerdings unter ausdrücklicher Verwahrung gegen des Missbrauches dieser im Glauben vieler Menschen gesicherten Gottesvorstellung zur Durchsetzung menschlicher politischer Ziele gegen andere und deren politische Überzeugungen. Auf der Entwicklung der paläolithischen Techniken über offenbar zumindest jetzt erkennbar mehr als 3 Millionen Jahre hinweg fußen als gemeinsame Erben alle Menschen mit ihren unzähligen religiösen oder nichtreligiösen, immer auch politisch geprägten, unterdessen entwickelten Ideologien. Und das kann uns ja wohl alle gemeinsam nur bescheiden werden lassen. Autor: Prof. em. Hansjürgen Müller-Beck |