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Fachbeitrag:

Immunologie und Evolutionstheorie

Über die Bedeutung evolutionärer Aspekte in der Immunologie und Medizin

Wer sich ein bisschen mit dem auseinandergesetzt hat, was Evolutionskritiker so von sich geben, hat sicherlich die folgenden Behauptungen schon mal gehört oder gelesen:

  • Es gibt keine positiven Mutationen und wenn eine Mutation doch einen positiven Effekt hat, siehe Antibiotikaresistenz, dann nur, weil die Mutation eine Genfunktion zerstört hat (Betonung im Original) (*).

  • Die Evolutionstheorie hat keinen Nutzen, die moderne Medizin kommt völlig ohne sie aus (selbst wenn die Behauptung zuträfe – die moderne Medizin wird auch nicht maßgeblich von der Gravitationstheorie beeinflusst, das sagt aber nichts über die Richtigkeit der Theorie aus).

Gerade letzteres Argument ist schwierig in Kurzfassung zu widerlegen, da kaum jemand explizit schreibt "Basierend auf der Evolutionstheorie haben wir...", da ein solches Verständnis beim Leser einfach vorausgesetzt wird. Gerade in der Immunologie, die mein Fachgebiet ist, spielen evolutionäre Vorgänge in vielen Artikeln eine Rolle. Dafür ein einfach zu verstehendes Beispiel zu finden, ist aber nahezu unmöglich, da die betreffenden Artikel für jemanden, der kein tiefer gehendes Verständnis für Immunologie (und Genetik, Molekularbiologie und Evolutionstheorie...) hat, meist völlig unverständlich sind. Gerade wurde aber in PLoS Genetics ein Artikel veröffentlicht (Kerns et al. 2008), der relativ einfach zu verstehen ist und gleich beide Behauptungen explizit widerlegt.

Doch zuerst ein bisschen Hintergrund: In Primaten (und anderen Säugetieren) gibt es verschiedene Ebenen und Methoden der Abwehr gegen Krankheitserreger. Eine Ebene wird als adaptive Immunantwort bezeichnet, bei der Zellen des Immunsystems spezifisch auf einen bestimmten Krankheitserreger reagieren, dies sind T-Zellen (zerstören spezifisch mit einem Krankheitserreger befallene Zellen) und B-Zellen (produzieren Antikörper, die spezifisch an Krankheitserreger oder mit diesem Krankheitserreger befallene Zellen binden und sie damit zur Zerstörung durch andere Zellen oder das Komplementsystem "markieren"). Eine andere wird als "angeborenes" Immunsystem bezeichnet. Dies vermittelt eine nicht spezifisch auf einen bestimmten Krankheitserreger gemünzte Immunantwort, sondern eine Art Breitbandabwehr gegen Pathogene. So "erkennt" das sog. Komplementsystem beispielsweise einen bestimmten Bestandteil der Membran einer Klasse von Bakterien und "markiert" diese zur Zerstörung.

Dem angeborenen Immunsystem im weiteren Sinne zuzuordnen sind die sog. intrinsischen Immungene. Während das adaptive und das angeborene Immunsystem im engeren Sinne entweder durch bestimmte spezialisierte Zelltypen oder durch verschiedene Mediatoren z. B. im Blut funktioniert, hat auch jede Körperzelle ein "eingebautes" Arsenal zur Abwehr. So gibt es eine Gruppe von Genen, deren Produkte die Replikation (Vermehrung) einiger Viren in der Zelle verhindern können (2*). Eines dieser Genprodukte heißt ZAP (für Zinkfinger-Antivirus-Protein). Es bindet spezifisch an RNA bestimmter Viren und zerstört sie. Entdeckt wurde ZAP vor nicht langer Zeit in Rattenzellen, wo es effektiv die Replikation eines Retrovirus (murine leukemia virus, MLV) verhindert.

Viren sind sehr wandelbar. Damit ein Abwehrmechanismus effektiv bleibt, muss dieser sich mitverwandeln. Nach der Evolutionstheorie erwartet man daher, dass Immungene einer starken positiven Selektion unterliegen und Mutationen, die die Bindungen des Proteins an den viralen Bestandteil verstärken oder ihre Fähigkeit verbessern, diesen zu zerstören, sehr schnell "fixiert" werden. Das eine positive Selektion stattgefunden hat, kann man dadurch feststellen, dass die Anzahl neutraler Mutationen (synonymer Basenaustausch) (3*) in dem betreffenden Gen geringer ist als die Anzahl von Mutationen, die die Proteinsequenz verändern (nicht-synonymer Basenaustausch). Bei einer negativen oder "stabilisierenden" Selektion wäre das Verhältnis genau andersherum. Aus dem Artikel:

"This kind of [positive] selective pressure is seen in cases where innovation in protein sequence can result in a selective advantage and rapid fixation, as is the case for a host immunity gene where a single mutation might improve its ability to recognize and destroy a pathogen."

Gene und Abschnitte von Genen, die einer starken positiven Selektion unterliegen, kann man durch Vergleich mit den entsprechenden (homologen) Genen in verwandten Arten identifizieren.

Um es noch mal ganz deutlich zu sagen: Viren haben eine hohe Mutationsrate und verändern sich schnell (hat man sowohl im Labor als auch in der Natur beobachtet). Deswegen erwartet man nach der Evolutionstheorie, dass sich auch die Gene, die mit der Virusabwehr zu tun haben (oder mit dem Immunsystem ganz allgemein), aufgrund einer starken positiven Selektion sehr schnell ändern. Wenn man beispielsweise das Genom von Menschen und Schimpansen vergleicht und die Gebiete sucht, die sich am stärksten unterscheiden und mehr nicht-synonyme Austausche als neutrale aufweisen, dann findet man, wie vorausgesagt, einen sehr hohen Anteil von Genen, die mit dem Immunsystem zu tun haben (4*). Aus dem Artikel:

"In fact, genome-wide scans for positively selected genes in primates reveal that adaptively evolving genes fall primarily into three functional categories: immune defense, chemosensory perception, and reproduction, with the majority of these genes being involved in immunity."

Die Autoren haben zunächst im Menschen nach dem ZAP-Homolog gesucht und haben zwei Formen gefunden, eine kurze (ZAP(S)), die dem Ratten-ZAP entspricht und eine lange (ZAP(L)), die einen zusätzlichen funktionellen Abschnitt enthält, eine sogenannte PARP-ähnliche Domäne (die beiden Formen des Proteins entstehen durch alternatives Splicen der ZAP-mRNA, beide Proteinformen werden von dem gleichen Gen kodiert). Daraufhin haben sie die ZAP-Gene in 13 verschiedenen Primaten (inkl. Mensch) verglichen.

Zunächst haben sie sich das ganze Gen angeschaut und wie erwartet eine starke positive Selektion dieses Gens in Primaten festgestellt. Dann haben sie sich einzelne Abschnitte des Gens angeschaut, um herauszufinden, welcher Teil des Gens in Primaten einer besonders starken positiven Selektion unterliegt. Die Idee ist die Folgende: Wenn man die Evolutionstheorie zugrunde legt, müssen die Abschnitte des Immungens, die einer besonders starken positiven Selektion unterliegen, besonders wichtig für die Effektivität von ZAP sein, also direkt mit der Virus-RNA interagieren. Aus dem Artikel:

"Since protein innovation has been primarily favored exclusively in the PARP domain, this would predict that ZAP(L) is the more evolutionarily relevant antiviral isoform. This prediction can be directly evaluated by testing whether the region under the most intense positive selection, the PARP-like domain, enhances the antiviral activity of ZAP."

Die Region des Gens, die sie so identifiziert haben, war der zusätzliche Abschnitt, die PARP-ähnliche Domäne, die die lange von der kurzen ZAP-Variante unterscheidet. Dies war überraschend, da auch andere Proteine PARP-ähnliche Domänen haben und man bisher keine Funktion von PARP-Domänen in der Virusabwehr vermutet hatte. Also haben sie die Wirksamkeit der langen und kurzen ZAP-Variante des Menschen und des Ratten-ZAPs verglichen und festgestellt, dass die lange ZAP-Variante des Menschen tatsächlich die effektivste für die Virusabwehr war. Aus dem Artikel:

"Moreover, we show that the presence of the PARP-like domain in the longer human ZAP isoform significantly enhances this restrictive capability against both [tested] viruses, making this the first demonstration of a PARP-like domain being implicated in an immunity role. Our results demonstrate that a combination of evolutionary and virological analyses can identify and validate specific protein domains involved in host–pathogen interactions, thereby uncovering previously unknown antiviral activity."

Wie genau diese Funktion der PARP-Domäne bei ZAP aussieht, muss noch erforscht werden.

Man kann wohl kaum bestreiten, dass die Aufdeckung von Mechanismen der Virusabwehr für die Medizin Bedeutung hat. In die Abwehr von HIV-Infektionen ist ZAP zwar nicht involviert, aber auch die Virusklasse, gegen die ZAP wirkt (Alphaviren), kann beim Menschen Erkrankungen verursachen.

   

Quellenverweis

Kerns, J.A.; Emerman, M.; Malik H.S. (2008) Positive Selection and Increased Antiviral Activity Associated with the PARP-Containing Isoform of Human Zinc-Finger Antiviral Protein. PLoS Genetics 4(1), e21.

   

Autorin: Sabine Schu [Quelle: Evilunderthesun]

     

_____________________________________________

Fußnoten:     

(*) Völlig ignorierend, dass Antibiotikresistenz in Bakterien durch eine Vielzahl von Mechanismen vermittelt werden kann, neben des Verlustes einer Genfunktion durchaus auch durch Entstehung neuer Genfunktionen, unter anderem:

  • Drug inactivation or modification: e.g. enzymatic deactivation of Penicillin G in some penicillin-resistant bacteria through the production of ß-lactamases.

  • Alteration of target site : e.g. alteration of PBP—the binding target site of penicillins—in MRSA and other penicillin-resistant bacteria.

  • Alteration of metabolic pathway: e.g. some sulfonamide-resistant bacteria do not require para-aminobenzoic acid (PABA), an important precursor for the synthesis of folic acid and nucleic acids in bacteria inhibited by sulfonamides. Instead, like mammalian cells, they turn to utilizing preformed folic acid.

  • Reduced drug accumulation: by decreasing drug permeability and/or increasing active efflux (pumping out) of the drugs across the cell surface.

[Quelle: Wikipedia]. Der zweite Mechanismus ist der, den Evolutionskritiker als "zerstörte Genfunktion" klassifizieren (obwohl das an der Realität vorbeigeht). Alle anderen Mechanismen beinhalten neue oder veränderte Genfunktionen.

   

(2*) Viren können sich nur innerhalb von Zellen vermehren, oder besser gesagt, Viren "sorgen" dafür, dass die befallene Zelle neue Viren produziert. Wie genau das abläuft, ist abhängig vom Virus-Typ. Es gibt Viren, deren Genom aus DNA besteht, bei anderen ist es RNA. Bei RNA-Viren gibt es wieder verschiedene Formen, manche haben einzelsträngige RNA, manche doppelsträngige, manche können ihr Genom in das Genom der befallenen Zelle einbauen (Retroviren wie HIV), etc.. Allen gemeinsam ist, dass sie ihr Genom in die Zelle bringen und die "Maschinerie" der Zelle dazu bringen, virale Gene abzulesen, das Virus-Genom zu duplizieren und schließlich einen neuen Virus-Partikel herzustellen (oder genauer sehr viele neue Viruspartikel).

(3*) Genauer ist die Bezeichnung "synonymer (="gleichlautender") Austausch". Dabei verändert die Mutation zwar die Basenabfolge der Gensequenz, aber nicht die Aminosäuresequenz des Proteins. Dies ist möglich, weil es i. d. R. mehr als eine Basenabfolge gibt, die in ein und dieselbe Aminosäure "übersetzt" wird. Die Aminosäure Serin wird beispielsweise durch die Abfolge der Basen TCT, TCC, TCA und TCG kodiert. Ein Basenaustausch in der dritten Position (z. B. von TCT zu TCC) hat also keinerlei Auswirkung. Bei einem nicht-synonymen Austausch bewirkt die Veränderung dagegen auch eine Veränderung in der Proteinsequenz. Findet beispielsweise ein Austausch in der ersten Position statt (z. B. TCT zu CCT), wird im resultierenden Protein anstelle von Serin die Aminosäure Prolin eingebaut.

(4*) Ich betone das noch mal extra, damit hinterher kein IDler ankommt und sagt, man müsste die Evolutionstheorie oder die Existenz positiver Selektion schon voraussetzen, damit man zu diesen Ergebnissen kommt. Dem ist nicht so. Es ist ein Fakt, dass die Gene mit den meisten Unterschieden überwiegend der Immunabwehr zuzuordnen sind. Ebenso Fakt ist, dass die Gene mehr nicht-synonyme Unterschiede zeigen als synonyme. Diese Fakten lassen sich durch die Evolutionstheorie erklären, mehr noch, man sollte erwarten, so etwas zu finden, wenn "common descent" und die Evolutionstheorie zutreffen und positive Selektion stattfindet. (Es würde mich mal interessieren, wie ein IDler versuchen würde, das mit ID zu erklären, oder wie ID solche Funde voraussagen sollte.)

       


© S. Schu (nur Text)     27.01.08