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Gastkommentar:
Die Position der
Studiengemeinschaft Wort und Wissen
Klärungen und Erklärungen (*)
Auf der
Homepage von Siegfried Scherer, Professor für mikrobielle Ökologie
an der Technischen Universität München, findet sich folgendes Zitat:
"Anders als der Kreationismus denke ich, dass ein junges Alter
("Schöpfungsalter") des Universums und der Erde nur entgegen der meisten
derzeit akzeptierten astronomischen und geophysikalischen Daten geglaubt
werden kann. Auch die Annahme, dass die meisten geologischen Schichtfolgen
in einem Jahr gebildet wurden, erscheint mir mit geologischen und
paläontologischen Daten unvereinbar." Weiter heißt es: "Die unter
Kreationisten hin und wieder erhobene Forderung, Evolutionsforschung nicht
mit öffentlichen Mitteln zu fördern, halte ich für
wissenschaftsfeindlich. Den Versuch, Schöpfungslehren im naturkundlichen
Unterricht zu verankern, kann ich nicht nachvollziehen. Noch abwegiger wäre
das Vorhaben, die Evolutionslehre aus dem Biologieunterricht zu entfernen..."
[2]. Bemerkenswert ist, dass Siegfried Scherer bis Anfang 2006 Vorsitzender
der kreationistischen Studiengemeinschaft "Wort und Wissen" war. Er ist zusammen
mit Reinhard Junker Autor ihres wichtigsten Werks: "Evolution - ein kritisches
Lehrbuch". Auch der heutige Vorsitzende Henrik Ullrich (Riesa) setzte sich
kürzlich öffentlich vom Begriff Kreationismus ab. Laut Internet
bezeichnet die Studiengemeinschaft ihre Position als "biblische
Schöpfungslehre".
Ein Briefwechsel mit Ullrich und Junker brachte Klarheit bezüglich der
naturwissenschaftlichen Inhalte: "Wort und Wissen" hält aus theologischen
Gründen an einem Weltalter von rund 10 000 Jahren fest. Man räumt
ein, dass es viele offene Fragen gebe, wenn man die erd- und naturgeschichtlichen
Daten in ein Kurzzeit-Szenario einordnen wolle. Die theologischen Gründe,
dies trotzdem zu tun, lauten, dass die Heilszusagen der Bibel in Frage gestellt
würden, würde man die historische Deutung der biblischen Urgeschichte
aufgeben.
Wichtig ist ein Schlüsselsatz aus dem Schreiben der Studiengemeinschaft:
"Die Berechtigung für eine theologische Beurteilung von Evolutionslehren
hängt nicht davon ab, wie gut oder schlecht diese naturwissenschaftlich
begründet sind, sondern davon, welche Konsequenzen sich aus ihrer
möglichen Wahrheit für das Gesamtverständnis der Heiligen
Schrift und das christliche Glaubenszeugnis ergeben." Die theologischen
Auswirkungen (!) einer naturwissenschaftlichen Theorie sind danach
entscheidend für ihre Annahme oder Ablehnung. Allerdings hält man
auch daran fest, dass es schwerwiegende naturwissenschaftliche Kritik sowohl
an der Abstammungstheorie (Evolution der Lebewesen) als auch an der
Selektionstheorie (kausale Erklärung der Evolution) gebe. Daher hält
die Studiengemeinschaft zwar die Mikroevolution in den Grenzen von
geschaffenen "Grundtypen" für bewiesen, lehnt aber eine
stammesgeschichtliche Entwicklung über diese Grundtypen hinaus als
unbewiesen oder sogar unwahrscheinlich ab. Dass die Kritik, selbst wenn sie
zuträfe, das eigene Kurzzeit-Szenario nicht belegen - noch nicht einmal
berühren - würde, ist Ullrich und Junker bewusst. Sie wollen trotzdem
an ihm festhalten. Die bildungs- und forschungspolitischen Ziele des
US-Kreationismus wollen sie allerdings nicht verfolgen. Auch die in den USA
aus politischen Gründen erhobene Behauptung, das Argument für ein
"intelligentes Design" der Lebewesen sei ein naturwissenschaftliches, wird
von Junker nach seiner neuesten Einschätzung und im Unterschied zu
früheren nicht mehr in dieser Form geteilt. Man wolle von der Bewegung
für ein "intelligentes Design" lernen, ihre Position aber nicht
übernehmen.
Wie ist "Wort und Wissen" danach einzuordnen? Die Studiengemeinschaft bleibt
Teil des Kurzzeit-Kreationismus (young earth creationism), aber die
Begründungen sind nicht nur die bei anderen Kreationisten üblichen.
Dass theologische Argumente reflektiert werden, trägt zur Klärung
bei. Man sollte sie eher in den Mittelpunkt des direkten Gesprächs
rücken als die naturwissenschaftlichen Argumente; dazu unten mehr. Die
Distanzierung von den politischen Partisanen in den USA ist bei Vorsitzendem
und Geschäftsführer persönlich glaubwürdig, gilt aber
nicht für alle Mitglieder. Die Äußerungen des früheren
Vorstandsmitglieds Werner Gitt sind zum Beispiel viel stärker politisiert
als diejenigen des Vorsitzenden Ullrich. Ein Problem im Umgang mit "Wort
und Wissen" ist, dass die Einschätzung des Kurzzeit-Kreationismus als
wissenschaftlich unplausibel, aber theologisch geboten, sich im Lehr- und
Werbematerial der Studiengemeinschaft nicht widerspiegelt. Beim
Unterstützerkreis und bei den Gemeinden kommt an, dass die
wissenschaftlichen Argumente für das Kurzzeit-Szenario sprächen.
Wenn Richard Wiskin in seinen Vorträgen die Frage stellt "Biblische
Urgeschichte - Mythos oder Tatsache?" muss man nicht raten, welche Antwort
er gibt. Werner Gitt (wahrscheinlich der am meisten gelesene Autor der
Studiengemeinschaft) lässt ebenfalls keinen Zweifel daran, dass die
"junge Erde" eine wissenschaftlich belegte Tatsache sei. Die vermutlich rund
70 evangelischen Bekenntnisschulen, die das Buch von Junker und Scherer sowie
das Lehrbuch "Creatio" verwenden, tun dies, weil sie ihren Bibelfundamentalismus
mit der naturwissenschaftlichen Autorität von Fachleuten begründen
wollen. Deren Markenprodukt ist die Widerlegung der langen Erd- und
Naturgeschichte zugunsten der sechs Kalendertage. Wenn nun Vorsitzender und
Geschäftsführer sagen, dass dieses Produkt eigentlich nicht zu
haben ist, setzen sie sich zu ihren eigenen Aktivitäten und deren
Wirkungsgeschichte in Widerspruch. Aber dieser Widerspruch muss wohl sein,
denn Zweifel am Kurzzeit-Kreationismus, wahrscheinlich schon ein Spektrum
an Meinungen vom "intelligent design" zur "young earth", würden der
Studiengemeinschaft ihre Basis kosten. Dass die Leitung des Werks nicht so
kann, wie sie will, ist eine Vermutung, aber sie liegt nahe.
Gegenüber der Naturwissenschaft muss man "Wort und Wissen" eine Haltung
bescheinigen, die an Selbsttäuschung grenzt. Ihr Kurzzeit-Szenario der
Welt- und Naturgeschichte leidet nämlich nicht nur an offenen Fragen.
Die bekannten Daten machen es empirisch und logisch schlicht unmöglich.
Auch die Argumente gegen Abstammungstheorie und Selektionstheorie sind
schlechter, als die Studiengemeinschaft meint. Sie rechtfertigen
großenteils keine wissenschaftliche Diskussion. Eine inhaltliche
Begründung dafür wäre nur an konkreten Beispielen möglich,
was den Rahmen dieses Textes sprengen würde. Man könnte eine solche
Begründung zum Beispiel anhand der Einwände gegen die
evolutionäre Entwicklung der Bakterienflagelle geben
(a), anhand der Versuche, die optische Konstruktion des
Wirbeltierauges als optimal darzustellen (b), an den
Ansätzen, physikalische Datierungsmethoden auszuhebeln
(c), an der Darstellung des Schnabeltiers als taxonomischen
Problemfall (d) usw. Aber eine grundsätzliche
Rückfrage an "Wort und Wissen" drängt sich auf: Das Motiv
naturwissenschaftlichen Forschens ist neben Karriereinteressen vor allem
die Neugier auf die Natur, der Wunsch, Regelmäßigkeiten in
rätselhaften Abläufen zu entdecken und zu erklären, was bisher
unerklärt war. Forschung setzt eine kreative, fast spielerische Distanz
zum Forschungsobjekt voraus, eine Freiheit, hypothetische Modelle theoretisch
und praktisch zu jonglieren, bis sie passen oder besser passen als vorher.
Von dieser Neugier, von dieser Kreativität, ist in den
naturwissenschaftlichen Schriften von "Wort und Wissen" wenig zu spüren,
am ehesten vielleicht noch beim Konzept der Grundtypen; nichts wenn es um
Geologie, Paläontologie und menschliche Fossilien geht. Man will nicht
wirklich wissen, was der Fall ist (e). Man treibt stattdessen
Naturwissenschaft, um die gedanklichen Wege zu verbauen, auf denen man in
Widerspruch (oder scheinbaren Widerspruch) zu seinem Glauben geraten
könnte. Gute Naturwissenschaft kann dabei nicht entstehen, unabhängig
von der Qualifikation der Beteiligten. Da diese sich von vornherein
dafür entscheiden, ihre Angst vor dem Wissen nicht zu reflektieren,
ist ein Diskurs über Einzelfragen der Taxonomie oder Genetik wenig sinnvoll.
Das bedeutet nicht, dass "Wort und Wissen" zu ignorieren wäre. Der Diskurs
sollte sich gerade mit den Motiven beschäftigen, die nach eigenem,
einsichtigem Bekunden die Angst vor dem Wissen hervorrufen. Dieser
innerchristliche Diskurs kreist um das Verständnis der Bibel, um das
Verhältnis von Geschichte und Heilsgeschichte und um das Verhältnis
von Glaube und Vernunft.
Dass die Studiengemeinschaft theologische von naturwissenschaftlichen Argumenten
unterscheidet, ist dabei hilfreich. Allerdings muss man, wenn sie sich beide
auf eine Wirklichkeit beziehen, was bei der Schöpfungstheologie immer
der Fall ist, auch ihr Verhältnis klären. Und das kann nicht so
aussehen, dass die theologische Erkenntnis dem naturwissenschaftlichen Wissen
prinzipiell vorgeordnet ist. Wenn sprachwissenschaftliche Forschung zeigt,
dass ein Ausdruck der Bibel anders als bisher zu übersetzen ist, kann
ein Exeget dieses Ergebnis nicht aufgrund seiner Theologie ablehnen. Er muss
es aufnehmen und wird, so ist zu vermuten, dabei nicht in Konflikt mit dem
apostolischen Glaubensbekenntnis kommen. Denn "
Erfahrungswissen ist
an die Bedingungen von Raum und Zeit gebunden; der Glaube dagegen richtet
sich auf die Wirklichkeit Gottes, die Raum und Zeit umgreift und
übersteigt. Zwar bleibt der Glaube auf das Wissen bezogen, ja angewiesen.
Aber er ist nicht mit ihm identisch - das ist der entscheidende Punkt. Glaube
und Wissen sind also bewusst voneinander zu unterscheiden; sie treten aber
damit nicht beziehungslos auseinander, werden also nicht voneinander getrennt."
[3],
Quellen
[1]
Kreationismus:
Die Position der Studiengemeinschaft Wort und Wissen
www.gemeindedienst.de/weltanschauung/texte/Krea_WoWi.htm
[2]
Homepage von S.
Scherer
www.siegfriedscherer.de/content/kritische_thesen.html#Kritik, Zugriff a.
15.11.2007
[3] "Der Schöpfungsglaube als Thema neuer weltanschaulicher Konflikte",
epd-dokumentation 47/2007, S.11
Hansjörg
Hemminger
______________________________________________________
Anmerkungen [M.N.]:
(a) siehe z.B. Neukamm, M.: Wissenschaft und
ontologischer Naturalismus. Eine Kritik antievolutionistischer
Argumentation, S. 208-213. In: Kutschera, U. (Hg.) Kreationismus in Deutschland.
Lit-Verlag, Münster.
(b)
Das Auge und die inverse Lage der Netzhaut. Ein
Design-Signal?
(c)
Kritische Anmerkungen zu einem Text der SG Wort und Wissen
(d)
Die
Zwischenform Tiktaalik roseae und die Kritik der Evolutionsgegner
(zum Thema Übergangsformen).
(e) Ein Biowissenschaftler, der das "evolutionskritische
Lehrbuch" von Junker/Scherer kürzlich erstmals las, schildere mir einen
ähnlichen Eindruck. In einer persönlichen eMail schrieb er:
"
ich war schon etwas erstaunt, wie wirklich wenig interessiert diese
Herren daran sind, mal die Gedanken spielen zu lassen, um mögliche
Erklärungswege
[für das Entstehen der Bakterienflagellen]
zu finden. Ich habe den Eindruck, das Motto ist: was nicht sein darf, das
kann halt nicht sein, und darum bemühen wir uns auch nicht,
Erklärungswege zu finden. Wer aber das Suchen nach Erklärungswegen
(auch wenn diese Anfangs natürlich nicht 100% abgesichert sind, sondern
erstmal 'Indizienbeweise' sind) einstellt, der muss sich überlegen ob
er überhaupt an irgendeiner Art Forschung interessiert sein kann." Meines
Erachtens kann man die Einstellung der Studiengemeinschaft W+W kaum
adäquater zum Ausdruck bringen.
(*) Nachtrag 26.09.08: Der
Geschäftsführer der Studiengemeinschaft Wort und Wissen hat inzwischen
den liberalen Christen Hansjörg Hemminger wegen seiner
kreationismuskritischen Beiträge sowie aufgrund der Kooperation mit
der AG Evolutionsbiologie in mehreren Internetbeiträgen scharf
kritisiert und auch innerhalb der Evangelischen Kirche Protest angemeldet.
Unsere Antwort zu einem der Internetbeiträge von W+W findet sich, nebst
einem Kommentar von H. Hemminger, an folgender Stelle:
Wort und Wissen kritisiert Vertreter der Evangelischen
Kirche
© AG Evolutionsbiologie
des VdBiol 23.11.07
Last update:
26.09.08